Sie saß am Vernehmungstisch wie ein
Kind, das mit dem Fußball eine Scheibe
eingeschlagen hat. Schuldbewusst, reuig,
verschüchtert. Ja, sie wünschte sich
immer noch so sehr ein Baby und sie
hatte im Brockenhaus ein Bettchen und
ein paar Spielsachen gekauft. Damit alles
vorbereitet war, wenn das Kindchen
käme. Ja, sie ging spazieren in Parks und
zu Kinderspielplätzen und schaute in die
Kinderwagen. Ja, es war ähnlich wie
damals, als der kleine Michael zu ihr
gekommen war. Sie wusste, dass sie das
nie mehr machen durfte. Aber sie hatte
doch so gut für das Kleine geschaut,
damals. Sie gab alles zu – nur nicht, dass
sie am Montagmorgen am Katzenbach
ein Baby geraubt und ins Wasser
geworfen hatte. Jedes Mal, wenn Streiff
sie darauf ansprach, schüttelte sie heftig
den Kopf. Nie würde sie ein Baby töten,
sie wollte doch eins haben zum Lieb-
haben und Aufziehen.
Streiff reichte ihr ohne Kommentar ein
Foto von Luzia. Ein leiser Schrei entfuhr
Lieselotte Bär.
»Was ist denn das?« Sie sah auf, und
plötzlich war ihr Blick herausfordernd:
»Hat mich denn jemand gesehen in
Seebach? Wenn nicht, müssen Sie mich
gehen lassen.«
»Das werden wir abklären, ob Sie jemand
gesehen hat. Und auch, ob sich am
Kinderwagen Ihre Fingerabdrücke finden.
«Lieselotte Bär verlangte, Frau Heiniger,
ihre Sozialarbeiterin, anrufen zu dürfen.
»Weiß die denn von dem Kinderzimmer
in Ihrer Wohnung?«, wollte Streiff wissen.
Nein, sie trafen sich alle drei Wochen in
einem Café. Frau Heiniger war schon
länger nicht mehr an der Fabrikstrasse
gewesen.
»Weiß Frau Heiniger, dass Sie wieder so
gern ein Baby hätten?« Bär schüttelte
den Kopf. »Nein, davon sage ich nichts.
Ich sage, dass es mir gut geht.«
Vermutlich war es Lieselotte Bär ja auch
gut gegangen in letzter Zeit. Sie hatte
wieder einen Lebensinhalt, indem sie das
Kinderzimmer eingerichtet und sich auf
die Ankunft eines Babys vorbereitet hatte.
»Warum sind Sie übrigens ausgerechnet
nach Einsiedeln gefahren?«, fragte Zita
Elmer. Frau Bär zuckte die Schultern.
»Ich kenne den Ort von früher. Es gibt
schöne Spazierwege.«
»Sie sind beim Spital, in der Nähe des
Babyfensters, gesehen worden.«
»Ja«, gab die Frau leise zu. »Ich hatte
irgendwie gehofft, dass eine Frau käme,
die ihr Neugeborenes nicht behalten
konnte und die es ins Babyfenster legen
wollte. Dann hätte ich sie doch bitten
können, es stattdessen mir zu geben.
« Streiff und Elmer ließen Lieselotte Bär
ein paar Minuten allein.
»Wollen wir die Frau nicht dabehalten?«,
fragte Elmer. »Wenn wir ihr länger
zusetzen, wird sie vielleicht einbrechen
und es zugeben.«